Die Wende und die Monate danach
Bereits seit 1982 trafen sich in der Leipziger Nicolaikirche jeden Montag Menschen zu Friedensgebeten. Am 4. September 1989 zeigten sie im Anschluss erstmalig Transparente, auf denen sie z. B. "Reisefreiheit statt Massenflucht" forderten. Am 1.10.1989 erreichten die ersten Prager Botschaftsflüchtlinge Hof und sechs Tage darauf, zum 40. Jahrestag der DDR, fand in Plauen die erste Massendemonstration mit 15.000 Teilnehmern statt. Am 9.10.89 demonstrierten in Leipzig bereits 70.000 Menschen, wobei immer die Gefahr der blutigen Niederschlagung der Proteste durch das DDR-Regime bestand.
Der Auslöser der Demonstrationen waren aufgedeckte Wahlfälschungen bei Kommunalwahlen vom 7. Mai 1989. Die Geschichte der Auflehnung gegen das DDR-Regime prägt bis heute die Mentalität der Plauener.
"Das tritt nach meiner Kenntnis … ist das sofort, unverzüglich." (Günter Schabowski, Pressekonferenz zur neuen DDR-Reiseverordnung, 09.11.1989)
Nachdem Schabowski das neue Gesetz zur Reisefreiheit mit sofortiger Wirkung verkündet hatte, reisten täglich 150.000 DDR-Bürger über die A9, Ullitz und andere Grenzübergänge sowie den Bahnhof Hof und später über weitere geöffnete Grenzübergänge in den Landkreis Hof ein. Überfüllte Züge führten zu Chaos am Hofer Hauptbahnhof und lange Trabistaus sorgten für schlechte Luft. Jedem DDR-Bürger wurden beim ersten Besuch 100 DM und beim zweiten Besuch 40 DM Begrüßungsgeld ausgezahlt. Insgesamt gab die Stadt Hof 91.2 Million DM als Begrüßungsgeld ab.
Die ersten Jahre nach der Wende

Bis zu 100 000 DDR-Bürger strömten täglich in die Hofer Innenstadt, so dass diese sogar teilweise gesperrt werden musste. Die DDR-Bürger holten sich in Hof ihr Begrüßungsgeld ab und gaben es in der Hofer Innenstadt direkt wieder aus. Hof erlebte ein Wirtschaftswunder, in dessen Folge viel Geld verdient und in zahlreiche, teils kostspielige Projekte gesteckt wurde. Ein nachhaltiges Wirtschaftswunder blieb jedoch aus, da die Grenzregionen im Osten neue Einkaufsmöglichkeiten schufen. Bayern erlebte nach der Wende durch die Zuwanderung von Arbeitskräften aus der ehemaligen DDR und die Erweiterung des Marktes einen wirtschaftlichen Aufschwung.
Der Einbruch der Textilindustrie in Hof durch die zunehmende Globalisierung führte zum Abbau von Arbeitsplätzen von ehemals 12 000 auf 150. Die Arbeitslosigkeit in Hof betrug Ende der 90er Jahre 14%. Zudem wurde die Zonenrandförderung 1995 beendet. Seit der Wende verlor Hof 12 % der Einwohner, sodass heute 46.000 Menschen in der Stadt leben. Inzwischen hat die Logistikbranche in Hof fußgefasst. Trotzdem bildet Hof bei Kaufkraft und Einkommen das Schlusslicht in Bayern.
Nach der Wende brach die Industrie in der ehemaligen DDR zusammen, auch die weltberühmte "Plauener Spitze" war davon betroffen. Die Volkseigenen Betriebe (VEB) wurden durch die “Treuhand” nach den Grundsätzen der sozialen Marktwirtschaft privatisiert, saniert oder stillgelegt. Viele Betriebe wie z.B. die alte Papierfabrik Blankenberg und die Lederfabrik Hirschberg wurden geschlossen, es kam zu Betrugsfällen und zur Zerstörung von Industrie-Netzwerken durch die Treuhand. Aufgrund des Wegfall von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen betrug die Arbeitslosenquote in Plauen 2004 19,1%. In der Textilindustrie sank die Zahl der Arbeitsplätze von 10 000 auf 300.
Durch den "Aufbau Ost" sollte bis 2019 die Ansiedlung von produzierendem Gewerbe im Osten gefördert werden, weshalb sich Firmen teilweise eher im Osten als in Oberfranken angesiedelten. Zudem wurde viel Geld für die Sanierung der Infrastruktur im Osten ausgegeben, während sich z. B. der Zustand der Straßen im Landkreis Hof verschlechterte.
Während am Anfang viele Gelder flossen, gibt es heute auf beiden Seiten keine Förderungen mehr.
Noch heute beneiden sich Hofer und Plauener aufgrund ihrer Geschichten gegenseitig.
Die Region Hof/Plauen steht stellvertretend für andere ehemalige Zonenrandgebiete, die mit den gleichen oder ähnlichen Problemen zu kämpfen hatten und haben.
“Bitte Wenden...” Wie konnten und können Umbruch und Neuanfang gelingen?
Rainer Lanzer wohnt mit seiner Frau Martina in Hirschberg gegenüber dem Schloss. Früher befand sich in unmittelbarer Nähe seines Hauses der Schlagbaum zur Sperrzone, ein Teil der Familie wohnte innerhalb der Sperrzone in Venzka und konnte nur mit Passierschein besucht werden. Um bei seiner kranken Mutter in Hirschberg bleiben zu können, wurde der gelernte Landmaschinentechniker Berufssoldat und als Grenzsoldat an der innerdeutschen Grenze zwischen dem Dreifreistaatenstein und Hirschberg, als Rüstmeister und Fahrlehrer eingesetzt. Nach der Wende wurde Rainer Lanzer nicht in die Bundeswehr übernommen. Mit einiger Hilfe seiner Kollegen aus dem Westen und mit guten Kontakten über Vereine wie z. B. den Frankenwaldverein schaffte er es 1990, seine Fahrschule zu eröffnen. Mit drei Fahrlehrern bildete sie in den Anfangsjahren Fahrschüler aus Hof, Hirschberg und Selb sowie russische Soldaten und deren Familien, die sich in der Kaserne Juchhöh befanden, aus.
Plauen und Hof sind seit 1987 Partnerstädte. Beide Städte möchten ihre eigene Kultur, Wirtschaft und Infrastruktur erhalten, sodass sie nur wenig zusammenarbeiten. Dass dies allerdings möglich ist, zeigen die beiden Städte Coburg und Sonneberg: Persönliche Kontakte zwischen den Bürgermeistern werden gepflegt. Die Nähe der Städte, die nur zwei Kilometer entfernt sind, soll zum Vorteil genutzt werden. Bürokratie und Landesgesetzgebung stehen gemeinsamen Investitionen allerdings im Weg. Nach Meinung des Coburger Bürgermeisters hätte es, auch nach der Wende, noch Förderungen geben sollen, da in dieser Zeit ein Großteil der Gewerbesteuer weggebrochen sei. Die damalige Bundesregierung bezeichnete dies als Kollateralschaden, der hinzunehmen wäre.
Die Aufgabe in der Zukunft wird sein, die Teilung in Ost und West aufzugeben. Hierzu sollte lösungsorientierter mit Unterschieden umgegangen und Probleme der Wende anerkannt werden. Auch wird es eine wichtige Aufgabe sein, unsere Demokratie zu bewahren und zu stärken. Die Deutsche Einheit wurde weitestgehend auf materielle Werte und den Gewinn von Freiheit reduziert. Man sollte aber auch über Eigenverantwortung und Verantwortung gegenüber anderen sowie einen respektvollen Umgang miteinander nachdenken.
Welche Probleme die Corona-Pandemie, die Rolle Russlands und des Krieges, Verschwörungstheorien und der Rechtsextremismus beim Zusammenwachsen der beiden Deutschen Teile bringen werden, ist ungewiss.
Autor: Lars von Varel
(Quelle: Gemeinsam sind wir stark!?: 30 Jahre nach dem Mauerfall, Mediathek BR.de, Gespräch mit Rainer Lanzer)