Traugott Holmer

Interview mit Traugott Holmer auf YouTube (externer Link)

Traugott Holmer wurde am 8.11.1971 als das neunte von zehn Kindern von Pastor Uwe Holmer und seiner Frau Sigrid geboren. Er lebte von 1983 bis 1990 in Lobetal (Brandenburg) bei Berlin. Dort gewährten seine Eltern Margot und Erich Honecker vom 30. Januar bis zum 3. April 1990 10 Wochen Asyl. Zu diesem Zeitpunkt lebte er mit seinem vier Jahre jüngeren Bruder Kornelius und seinen Eltern im Pfarrhaus. Sein Vater war Leiter des Vereins Hoffnungstal e.V., der sich um bis zu 500 geistig und körperlich beeinträchtigte Menschen, die in der DDR keine andere Bleibe gefunden hätten, kümmerte. Traugott Holmer lernte zunächst Tischler, da ihm das Abitur in der DDR wie all seinen Geschwistern verwehrt blieb.

1990 zog Traugott Holmer zu einer Bekannten seiner Eltern nach Oldenburg und machte dort sein Abitur. Er studierte Medizin in Berlin, wurde an der Charité Berlin ausgebildet und arbeitete als Neurologe in Zürich, Hildburghausen, Weiden und Kulmbach. Traugott Holmer lebt mit seiner Frau und seinen drei Kindern in Kulmbach und arbeitet in Marktredtwitz.

Das Leben mit den Honeckers

Margot und Erich Honecker mussten nach dem Sturz des SED-Regimes ihre Wohnung in der Waldsiedlung Wandlitz verlassen. Der DDR-Rechtsanwalt Wolfgang Vogel fragte bei der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg nach einer Bleibe für das Ehepaar Honecker, da befürchtet wurde, dass wütende DDR-Bürger ihr Leben bedrohten. Familie Holmer erklärte sich schließlich bereit, das Ehepaar in ihrem Haus aufzunehmen. 

Nachdem sich Erich Honecker aufgrund von Nierenkrebs einer Operation unterzogen hatte, bezog das Ehepaar mit wenig Gepäck zwei Zimmer im Dachgeschoss des Pfarrhauses. Familie Holmer teilte ihren Alltag mit dem Ehepaar Honecker, das sie als freundlich, aber fanatisch bezeichneten. Sie aßen gemeinsam, Margot Honecker half im Haushalt und kümmerte sich um den kranken und gebrochenen Erich Honecker. Dieser führte viele Selbstgespräche, las häufig Zeitungen und schaute Nachrichten im Fernsehen. Während Kornelius Holmer das Ehepaar Honecker eher als Großeltern sah und sogar für sie einkaufte, stand Traugott Holmer ihnen distanzierter gegenüber. Wenn die Familie betete, beteiligten sich die Atheisten Margot und Erich Honecker nicht und besuchen auch keinen Gottesdienst. Honeckers und Holmers unternahmen viele Winterspaziergänge, über politische und christliche Themen sprachen sie dabei nicht. 

Die Kirche wurde in der DDR nur geduldet, aktive Mitglieder mussten Nachteile bei der Schulausbildung, Studienplatzvergabe und Berufswahl befürchten. So durften auch Traugott Holmer und seine Geschwister in der DDR trotz guter Noten kein Abitur ablegen. Trotzdem die Eltern von Traugott Holmer von dem DDR-Regime unterdrückt wurden, nahmen sie die Honeckers auf, da sie es als ihre christliche Pflicht sahen ("Leben, wie man redet"). Sie sahen Honeckers als obdachlose Menschen, die sie gemäß des Gründervaters des Vereins Hoffnungstal e.V. Pfarrer Bodelschwingh nicht abweisen durften. Auch nahmen sie das angebotene Geld der Honeckers nicht an, was sie als Demütigung empfunden haben könnten.

Familie Holmer musste während dieser Zeit viel Kritik aushalten, die aus den eigenen Reihen kam, sich in Fackelaufzügen vor dem Pfarrhaus und schließlich in Mord- und Bombendrohungen äußerte. Die Menschen konnten nicht verstehen, dass Familie Holmer Erich und Margot Honecker die vielen Gräueltaten vergeben konnte, die unter ihrer Herrschaft verübt wurden. Ehepaar Holmer verlor während dieser Zeit einige Freunde, bereute seine Entscheidung jedoch nicht. Obwohl das Volk Erich Honecker noch wenige Wochen zuvor am 40. Jahrestag der DDR zugejubelt hatte, wusste das Ehepaar Honecker, dass es jeglichen Rückhalt in der Bevölkerung verloren hatte. Nun mussten sie die, die sie in der DDR unterdrückt und benachteiligt hatten, um Asyl bitten. Ehepaar Honecker war zwar dankbar für die Aufnahme im Haus der Holmers, zeigte aber weder Reue noch baten sie um Vergebung für ihre Taten.  

Margot Honecker floh nach Chile, Erich Honecker musste sich einem Gerichtsverfahren unterziehen. Da er aufgrund seiner fortgeschrittenen Krebserkrankung haftunfähig war, durfte auch er nach Chile ausreisen, wo er am 29.5.1994 starb. Margot Honecker blieb bis zu ihrem Tod 2016 in Chile. 

Über die Aufnahme des Ehepaars Honecker durch die Familie Holmer wurde in verschiedenen Medien berichtet. 2022 erschien der Film "Honecker und der Pastor" von Jan Josef Liefers mit der gleichnamigen Dokumentation.

Autor: Lars von Varel

(Quellen: Film "Honecker und der Pastor", Doku zu "Honecker und der Pastor", ZDF Mediathek, Gespräch mit Traugott Holmer, Wikipedia)